Von der Notwendigkeit einer philosophischen Theorie des Bewußtseins am Beispiel sprachfähiger intelligenter Agenten
AUTHOR: Dr. Gerd Döben-Henisch
FIRST DATE: Nov 21, 1995
DATE of LAST CHANGE: Nov 21, 1995
Unerfüllte Wünsche
Als Ausgangspunkt der Überlegungen soll uns die Vision von Nicholas
NEGROPONTE dienen, der in seinem Buch being digital (1995) gesteht, daß sein Traum eines idealen Interfaces Computer wären, die Menschen ähneln (S. 101). Ein solches menschenähnliches Interface besäße u.a. die Eigenschaft, daß man sich mit ihm auf menschliche Weise unterhalten könnte. Dies wiederum beinhaltet z.B., daß solch ein Interface Sprache situationsbezogen wirklich verstehen und auch produzieren könnte. Ferner könnte ein solches menschenähnliches Interface Aufträge entgegennehmen und selbständig ausführen. Vielleicht könnte es auch von
sich aus, spontan, gewisse Aktionen anstoßen.
NEGROPONTE ist allerdings Realist genug, um zu wissen, daß es bis heute keine Computer gibt, die in einem uns vertrauten Sinne Sprache verstehen können. Gewisse Erfolge konnten bislang nur im begrenzten Bereich der Spracherkennung erzielt werden. Spracherkennung besteht darin, daß akustischer Schall auf Zeichenketten einer bestimmten Sprache abgebildet wird. Alle heute eingesetzten Verfahren arbeiten mit rein stochastischen Methoden, die zwar in mehr oder weniger größerem Umfang auch phonetische und morphologische Gesetzmäßigkeiten ausnutzen, aber keines dieser Verfahren rekurriert in einem nennenswerten Sinne auf soetwas wie `Bedeutung' oder `Verstehen'.
Das z.Zt. wohl leistungsfähigste spracherkennende System, das ich im
September 1995 testen konnte, ist die `Hörende Schreibmaschine' von
Siemens-Nixdorf, die unter der Leitung von Dr. PROFF entwickelt wurde. Sie
setzt auf der Hardware eines Standard PCs mit Pentium auf, ergänzt durch eine Steckkarte mit einem speziellen Neuroprozessor. Die `Hörende Schreibmaschine' erkennt sprecherunabhängig fließende Rede in Echtzeit.
Ungelöste Probleme
Unter dem Stichwort Intelligente Agenten (gemeint sind Softwareagenten
wie auch Roboter) gibt es seit den 80iger Jahren einen stark expandierenden Zweig in der künstlichen Intelligenzforschung, der sich zum
Ziel gesetzt hat, mit den heute verfügbaren technischen Mitteln Programme und Maschinen zu entwickeln, die mehr und mehr intelligente Leistungen des Menschen unter unterschiedlichsten Bedingungen verfügbar machen
sollen. Das menschenähnliche Interface NEGROPONTEs erscheint hier
-wenn überhaupt- nur als fantastischer Spezialfall einer fernen Zukunft. Es ist augenfällig, daß in diesem Forschungsbereich das Sprachverstehen oder
gar der Spracherwerb von intelligenten Agenten bisher kein Thema ist. In
dem State-of-the-Art Survey Agent Theories, Architectures, and Languages
von Michael J.WOOLDRIDGE und Nicholas R.JENNINGS (1994) findet sich
zwar der Versuch, Agenten als intentionale Systeme zu charakterisieren, die
über Wissen, Glauben, Wünsche etc. verfügen, das Thema Sprachverstehen
aber wird nicht einmal erwähnt.
Eine Ursache für dieses Schweigen ist sicher das Fehlen einer brauchbaren
Theorie des Sprachverstehens und des Spracherwerbs.
In seinem kenntnisreichen Überblicksartikel Knowledge Representation and
Natural Language Understanding von [1993] stellt Gerard SABAH zwar fest,
(1) daß die Syntax die Semantik benötigt (S.165f), (2) daß es keine 1-zu-1-
Abbildung zwischen Syntax und Semantik gibt (S.159), und (3) daß es die
Aufgabe der Pragmatik sei, zu beschreiben, nach welchen Prinzipien ein
Hörer bei einer Äußerung den aktuellen Sinn und die aktuelle Referenz
zuordnet (S.169), aber er sieht noch nicht, wie die aktuelle Theorien der
Pragmatik (er erwähnt GRICE, SPERBER/ WILSON, ROULET) in ausführbare
Programme umgesetzt werden können (S.171).
In einer aktuellen Übersicht über maschinelle Übersetzungssysteme muß
Uta SEEWALD (SEEWALD 1995) feststellen, daß Übersetzungssysteme noch
immer einer Nachbearbeitung durch menschliche Übersetzer bedürfen.
Gemessen an der gesamten Übersetzungsarbeit kann dieser Aufwand
zwischen 20% und 60% liegen. Die Kodierung der Bedeutung, die im
Rahmen des Übersetzens eine zentrale Rolle spielt, 'ist ein noch nicht
abschließend gelöstes Problem', wie sie vorsichtig formuliert (S.96), und:
'Eine Full Automatic Machine Translation, die der Nachbearbeitung durch
den Menschen nicht mehr bedarf, ist eine Projektion in die Zukunft'(S.102).
Diese Schwierigkeiten verwundern nicht.
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