Ereignisse im Kopf des Sprechers

AUTHOR: Dr. Gerd Döben-Henisch
FIRST DATE: Nov 21, 1995
DATE of LAST CHANGE: Nov 21, 1995



Betrachten wir ein ganz einfaches Beispiel in einer vorwissenschaftlichen Einstellung.

Nehmen wir an, daß, während ich diesen Artikel schreibe, mein Telefon klingelt, und eine Stimme im Telefon mit der Mitteilung zu hören ist: Herr Döben-Henisch, kommen Sie bitte zum Haupteingang des Institutes; ein Herr Meyer erwartet Sie dort!

Zunächst einmal handelt es sich um ein Schallereignis, das jeder, der Deutsch versteht, eindeutig als eine sprachliche Mitteilung klassifizieren würde. Der Sprecher dieser Mitteilung -eine Frauenstimme, identifizierbar als die Stimme einer unserer Sekretärinnen- ist zum Zeitpunkt der Äußerung in meinem Zimmer körperlich nicht anwesend. Einige der angesprochenen Objekte wie `Haupteingang' und `Herr Meyer' sind in der Äußerungssituation auch nicht präsent. Dennoch bin ich in der Lage, diesem Schallereignis -salopp formuliert- `im Kopf' eine rein gedachte Situation zuzuordnen, für die es in der aktuellen Äußerungssituation keine direkte Entsprechung gibt. Aufgrund von sprachlichen Schallereignissen können wir uns Gegenstände vorstellen, Beziehungen zwischen diesen Gegenständen, Handlungen, diverse Aktivitäten, ohne daß diesen Vorstellungsgehalten in der unmittelbaren Äußerungssituation etwas Objektives entsprechen muß.

Diese beispielhafte Umschreibung alltagssprachlicher Bedeutung ist -als vorwissenschaftliche Darstellung- notgedrungen etwas vage. Doch macht sie auf zwei prinzipielle Tatbestände aufmerksam, die für die weiteren Überlegungen richtungsweisend sind:

  1. Sprachliche Bedeutung und das daran geknüpfte Verstehen hat mit Vorgängen zu tun, die sich im Sprecher-Hörer abspielen ohne daß sie sich direkt in einem beobachtbaren Verhalten ausdrücken müssen;
  2. jeder Sprecher-Hörer hat einen erlebnismäßigen Zugang zu seinen Sprachverstehensprozessen, ohne daß damit gesagt sein soll, daß in dieser Erlebnisperspektive alle Faktoren erfaßt werden können, die für das Gesamtgeschehen relevant sind.


Wenn man diese Arbeitshypothese akzeptiert, dann finden sich starke Argumente, warum viele, um nicht zu sagen die überwältigende Mehrheit, der heutigen Ansätze bei der Behandlung von Sprachverstehensprozessen nicht greifen können.
INM

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