Fachtagung
PSYCHE und PHYSIS
INM - Institut für Neue Medien
Frankfurt 16.Juni 1997
Knowbots als Modellierungs-Instrumente einer multidisziplinären Wissenschaft?
Kurzfassung des Vortrags von
Gerd Döben-Henisch
INM - Institut für Neue Medien
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INHALT
1. Psyche und Physis aus wissenschaftstheoretischer Sicht
2. Konstruktion eines Wittgenstein-Agenten
3. Knowbots als multidisziplinäres Modellierungsinstrument?
4. Literaturnachweise
Knowbots als Modellierungsinstrumente einer multidisziplinären Wissenschaft?
1. Psyche und Physis aus wissenschaftstheoretischer Sicht
Als Wissenschaftstheoretiker versucht man, jene Elemente in einem Theoriebildungsprozeß
zu isolieren, die wesentlich zur Bildung einer wissenschaftlichen Theorie beitragen.
Für die folgenden Überlegungen sind dies die Elemente Gegenstandsbereich G, Meßverfahren M, (Meß-)Daten D, Strukturtheorie STR,
sowie Computermodell M
(Für eine Einführung in den modernen Theoriebegriff siehe z.B.: J.AUDRETSCH/ K.MAINZER (eds) [1988], W.BALZER [1982], W.BALZER/ C.U.MOULINES/ J.D.SNEED [1987], P.HINST [1996], G.LUDWIG [1978], G.LUDWIG [1978b, 2nd. ed.], F.SUPPE (ed) [1977, 2nd ed.1979]).
Durch Vereinbarung eines Meßverfahrens M
wird ein vortheoretischer Gegenstandsbereich G' zu einem wissenschaftlichen Gegenstandsbereich G
, d.h. der Einsatz eines Meßverfahren M konstituiert den wissenschaftlichen Gegenstandsbereich
G. Das Ergebnis von Messungen relativ zu G sind Daten D
, die sich symbolisch repräsentieren lassen.
M: G -----> D
Menschen und ihr Verhalten bilden einen möglichen Gegenstand G_hum wissenschaftlicher
Forschung.
G_hum c
G
Empirische Meßverfahren M_emp erlauben es in bestimmtem Umfang, Verhaltensdaten D_sr
und physiologische Daten D_snr
zu gewinnen. Phänomenologische Meßverfahren M_phen entsprechend Erlebnisdaten D_phen
.
D_sr c
D
D_snr c
D
D_phen c
D
Aufgrund ihres unterschiedlichen meßtheoretischen (und epistemischen) Status sind
D_sr und D_snr einerseits sowie D_phen andererseits wesentlich irreduzibel, aber über die Zeit korrelierbar
.
Der Vollständigkeithalber sei erwähnt, daß es empirische Meßverfahren zur Gesamtheit aller Objekte D_world
gibt, von denen die Menschen nur einen Teil bilden.
D_world c
D
Zu jeder Menge von Meßwerten kann man eine formale Struktur STR
definieren, die der Erklärung der einzelnen Meßwerte dienen soll: STR_world, STR_sr,
STR_snr, und STR_phen.
Meßwerte zusammen mit einer Struktur ergeben eine Theorie T
:
T_world = D_world u
STR_world
T_sr = D_sr u
STR_sr
T_snr = D_snr u
STR_snr
T_phen = D_phen u
STR_phen
Die Beziehung zwischen der allgemeinen Theorie der Welt T_world und den Theorien T_sr
und T_snr ist sehr vielschichtig. Diese Fragestellungen sollen aber heute hier
nicht behandelt werden.
Zum Verhältnis von T_snr und T_phen gibt es heute die weitverbreitete Arbeitshypothese, daß sich zu jedem Prozeß f_phen_i aus T_phen eine charakteristische
Menge von Prozessen f_snr_j aus T_snr angeben läßt, deren Auftreten eine notwendige
Bedingung für die Prozesse f_phen_i bilden
, m.a.W. man nimmt an, daß sich für die Beziehung von D_snr zu D_phen eine Abbildung
angeben läßt:
PP: pt(D_snr x T_snr) -----> pt(D_phen x T_phen)
Die folgenden Überlegungen werden mit dieser Hypothese arbeiten.
Aufgrund der Komplexität aller hier genannten Theorietypen liegt es nahe, zur Unterstützung
dieser Theorien, Computermodelle M
(M_world, M_sr, M_snr, M_phen) zu entwickeln, die den Gehalt der Theorie möglichst
vollständig nachbilden.
Wenn man davon ausgeht, daß die Welt ein
-wenn auch sehr großes- endliches System darstellt
, dann gilt diese Endlichkeitsannahme natürlich auch für Teilbereiche dieser Welt
wie z.B. für den menschlichen Körper. Daran knüpft sich dann die Vermutung, daß es
prinzipiell möglich sei, solche endlichen Systeme durch andere endliche Systeme darzustellen bzw. zu simulieren.
Der Prototyp eines endlichen berechenbaren Systems
schlechthin bildet die Turingmaschine TM
, zu der es mittlerweile zahllose äquivalente Formalismen gibt (Siehe z.B.: H.HERMES [1960, 2.Aufl. 1971], J.E.HOPCROFT/ J.D.ULLMAN [1979], KLEENE, Stephen C. [1988], M.MINSKY [1967], A.M.TURING [1936-7])
Für eine Theoriebildung, die daran interessiert ist, ihre Theorie T auch als Simulationsmodell
M verfügbar zu haben, ist es von höchstem Interesse, ein berechenbares endliches
System zur Hand zu haben, dessen Ähnlichkeit mit der Theorie hinreichend groß ist. Da es für Theorien, die die Ausdruckskraft von Theorien 1.Stufe
-oder stärker- besitzen, nachweislich keine adäquaten endlichen berechenbaren Modelle
geben kann (Siehe dazu: GÖDEL, K. [1931], KLEENE, Stephen C. [1988], A.M.TURING [1936-7]), stellt sich die Frage, ob es wenigstens für abgeschwächte Versionen solche endlichen
berechenbaren Systeme gibt. Dies ist der Fall. Die Menge der Hornklauseln HC
, die eine Teilmenge aller Sprachen 1. Stufe darstellen, lassen sich zusammen mit
der SLD-Resolution als Schlußverfahren korrekt und vollständig in eine Turingmaschine abbilden
. Anders ausgedrückt, endliche Theorien lassen sich direkt und ohne Umschweif als
Computermodelle realisieren. Nennen wir solche Computermodelle M_hc
. Sie konstituieren das Paradigma des Logischen Programmierens
. Eine weitverbreitete Realisierung dieses Konzeptes bietet die Programmiersprache
Prolog (Siehe z.B.: W.F.CLOCKSIN/ C.S.MELLISH [1984, 2nd ed.], HEIN, James L. [1995], McCABE, Francis [1992], O'KEEFE, Richard A. [1990], STERLING, Leon/ SHAPIRO, Ehud [1994]).
Wenn die zuvor erwähnte Endlichkeitshypothese zutrifft, muß die Einschränkung einer
Theorie T auf Hornklauseln T|\HC keine ernsthafte Einschränkung für den zu beschreibenden
Sachverhalt darstellen. Auf jeden Fall gewinnt man eine intuitiv einfache und zugleich eindeutige Beziehung zwischen Theorien T|\HC und zugehörigen Computermodellen
M_hc. Eine Unterschied zwischen der eigentlichen Theorie T|\HC und dem zugehörigen
Computermodell M_hc wird formal damit hinfällig. Die Menge der Formeln, die die Theorie T|\HC bilden, ist logisch mit Computerprogramm M_hc äquivalent. Man kann dann die
Äquivalenz aufstellen:
T|\HC = Daten u
Axiome = M_hc = Fakten u
Regeln
Um die Kontinuität mit der üblichen wissenschaftstheoretischen Redeweise zu wahren
wird im Folgenden dennoch weiterhin die mengentheoretische Sprechweise benutzt, allerdings
mit der stillschweigenden Prämisse, daß diese Redeweise nur insoweit gelten soll,
als sie sich in das Gewand einer Theorie übersetzen läßt, die sich auf Hornklauseln
beschränkt.
Diese auf den ersten Blick vielleicht sehr abstrakten Überlegungen sollen nun auf
ein konkretes Beispiel angewendet werden.
2. Konstruktion eines Wittgenstein-Agenten
Von den verschiedenen Varianten des Psyche-Physis Problems gibt es eine interessante
Variante im Bereich der Sprachphilosophie.
(W1) Ludwig WITTGENSTEIN geht in seinen Philosophischen Untersuchungen PU
(WITTGENSTEIN, L. [1958, 3.Aufl. 1975])
davon aus, daß Menschen innere Zustände IS
haben, die nur dem einzelnen selbst direkt zugänglich sind, nicht aber einem anderen.
(W2) Er sagt, daß ein Beobachter A nur dann auf bestimmte innere Zustände IS_B_i von B
schließen kann, wenn B zeitlich korreliert ein Verhalte
n SR_B_k zeigt, das aufgrund seiner Eigenschaften einen Rückschluß auf die inneren Zustände IS_B_i von B
zuläßt.
(W3) Ferner stellt er fest, daß B selbst, wollte er seine internen Zustände IS_B_i sprachlich
mit einem Ausdruck E kommunizieren, aufgrund der Beschaffenheit von IS_B_i selbst keinerlei Anhaltspunkte
finden kann, wie und mit welchem sprachlichen Ausdruck
er diese Zustände erfolgreich kommunizieren kann.
Diese -hier stark vereinfachte- Position Wittgensteins hat dazu geführt, daß bis heute
für viele Philosophen eine Kommunikation interner Zustände als nicht praktikabel
gilt.
Ich möchte nun an einem mathematischen Modell -einem Wittgenstein Agenten (hier M_hc_wa genannt)-
zeigen, daß die erfolgreiche sprachliche Kommunikation interner Zustände entgegen
Wittgensteins Vermutung unter bestimmten Bedingungen nicht nur möglich ist, sondern
sogar, daß dies jener Fall ist, den wir im Alltag beständig praktizieren (Vorarbeiten
zur vorliegenden Analyse finden sich in: G. DÖBEN-HENISCH [1994], G. DÖBEN-HENISCH [1995], G. DÖBEN-HENISCH [1996a], DÖBEN-HENISCH, Gerd [1996b] , DÖBEN-HENISCH, Gerd [1997a], DÖBEN-HENISCH, Gerd [1997b])
Die Konstruktion eines Wittgenstein-Agenten ist von besonderer Brisanz dadurch, daß
hier eine endliche Struktur aufgezeigt wird, die in der Lage ist, alle wesentlichen
strukturellen Eigenschaften zu reproduzieren, die wir sonst nur vom sprachlernenden
und sprachbenutzenden Menschen kennen.
Der Versuch der theoretischen Rekonstruktion von Wittgensteins Position führt fast
zwingend zur Unterscheidung von phänomenologischen Daten D_phen und physiologischen Daten D_snr
, denn nur D_phen sind definitionsgemäß erlebbar, nicht aber D_snr. Um nun zu demonstrieren,
wie WAs ihre internen Zustände IS -hier hypothetisch identifiziert mit ihren Erlebnissen
D_phen- miteinander kommunizieren können, benötigt man eine minimale Welt W
, die die WAs miteinander teilen.
Teil des Demonstrationsmodells M_hc_wa ist also eine Welt W
, irgendwelche anderen Objekte OBJ und WAs, die in einer schachbrettartigen Ebene
angeordnet sind.
W(x) gdw x = <O, R, Ax>
O = <OBJ, WA>
R = <R_perc, R_act>
Für die Beziehung der WAs untereinander gilt (entsprechend (W1) - (W3)), sie können
sich zwar in begrenzter Weise bzgl. ihres Verhaltens wahrnehmen, nicht aber bzgl.
ihrer internen Zustände.
Als aktive Verhaltensweisen
stehen den WAs zur Verfügung: Sich drehen [turn, t], sich in eine bestimmte Richtung
Dir bewegen [move, m], sprechen [speak, spk].
An Wahrnehmungen
von Umweltereignissen besitzen sie: Schmerzempfindung bei Aufprall [pain, p], sie
können sprachliche Äußerungen hören [hear, h], und sie können in sehr begrenztem
Umfang sehen [view, v].
Für die innere Organisation wird zunächst im Sinne Wittgensteins angenommen, daß es
interne Zustände gibt, die nur subjektiv erlebbar sind und solche -im Sinne unserer
psycho-physischen Arbeitshypothese-, die zur physiologischen Maschinerie gehören,
ohne daß dabei auf eine direkte empirische Entsprechung abgehoben wird.
Quasi-physiologisch
wird angenommen, daß es Prozeduren für die Schmerzwahrnehmung gibt [P], für das Sehen
[V], für das Hören [L_in], für das sich Drehen [T], das Gehen [M] und das Sprechen
[L_out].
p_sens: p_phys -----> P
v_sens: v_phys -----> V
h_sens: h_phys -----> L_in
R_perc = <p_sens, v_sens, h_sens>
SENS = P u
V u
L_in
t_act: t_phys -----> T
m_act: m_phys -----> M
s_act: s_phys -----> L_out
R_act = <t_act, m_act, s_act>
ACT = T u
M u
L_out
Quasi-phänomenologisch
wird angenommen, daß jedem dieser physiologischen Prozesse ein phänomenologisches
Korrelat korrespondiert, die in der phänomenologischen Wahrnehmung PERC zusammengeführt
werden:
PP_perc : SENS x ACT -----> PERC x PERC
PERC c
SENS' x ACT'
(X' := phänomenologisches Korrelat von X)
Es wird angenommen, daß alle Phänomene der Wahrnehmung nur für ein begrenztes Zeitintervall
für das System zur Verfügung stehen und dann durch neue ersetzt werden; dies wird
ausgedrückt durch die Struktur PERC x PERC, die besagen soll, daß eine aktuelle Wahrnehmung
durch eine neue ersetzt werden kann, wobei die 'alte' Wahrnehmung für ein 'Intervall' erhalten bleibt. Dies ist wichtig, um 'Veränderungen' erfassen zu können.
Weiterhin wird angenommen, daß eine Konzeptualisierung
concept
stattfindet, die 'relevante' Merkmale der Wahrnehmung PERC in ein Netzwerk von Konzepten CONC
transformiert. Dieses konzeptuelle Netzwerk CONC wird hier als ein Graph aufgefaßt,
dessen Knoten Perzeptionselemente p in
PERC sind und dessen Kanten mögliche wahrnehmbaren Übergänge zwischen perzeptuellen
Zuständen widerspiegeln. Zyklen sind zulässig.
concept : PERC x PERC x CONC -----> CONC
Das Grundprinzip besteht darin, alle Elemente von PERC, die noch nicht in CONC sind,
dort nach und nach in ihrer zeitlichen Dynamik einzubauen. Zu CONC gehört auch die
Erfassung von Häufigkeiten typischer Überänge sowie diverse Bewertungszahlen.
Auf der Basis von PERC und CONC sind dann einfache Planungen möglich.
planning : PERC x PERC x CONC -----> ACT'
Da in der bisherigen Konstruktion des Modells zwischen Phänomenen D_phen und physiologischen
Prozessen D_phys unterschieden wurde, stellt sich an dieser Stelle die interessante
Frage, wie denn Phänomene Einfluß auf physiologische Prozesse nehmen können
. Würde man annehmen, daß Phänomene einen eigenen ontologischen
Status besitzen, dann wäre diese Frage im vorliegenden Rahmen kaum bis garnicht befriedigend
zu beantworten. Nimmt man hingegen an, daß es sich bei der Unterscheidung von Phänomenen
und physiologischen Prozessen nur um eine epistemische
Unterscheidung handelt, dann steht der Hypothese nichts im Wege, daß die Phänomene jenseits ihres rein epistemischen Status nur spezifische Aspekte -nämlich
die 'Innensicht'- physiologischer Prozesse darstellen
. Dann könnte man ohne weiteres annehmen, daß erlebbare Prozesse zugleich reale Bestandteile
von physiologischen Prozessen sind und damit kausal auf andere einwirken können.
Letzteres wird hier angenommen.
Im Modell wird angenommen, daß 'endgültige Entscheidung' darüber, ob unter Einwirkung
einer expliziten Planung agiert wird oder nur aus einer Mischung aus 'Zufall' und
'Notwendigkeit', ausschließlich vom Vorliegen einer Planung abhängt; wenn kein konkretes Planungsergebnis vorliegt, entscheidet die physiologische Maschinerie 'aus sich heraus':
acting : ACT'/ACT x DEFAULT -----> REACTION
Das bisherige einfache System ist in der Lage, den Strom seiner Erlebnisse zu strukturieren,
potentielle Abhängigkeiten zu entdecken, Bewertungen vorzunehmen, einfache Absichten
zu entwickeln und diese in die Tat umzusetzen.
Als nächstes wird es mit einer einfachen Sprachkomponente
ausgestattet, die es ihm erlaubt, alle aktuellen Erlebnisse PERC sowie diese unter
Berücksichtung potentieller Kontexte in seinem konzeptuellen System CONC mit Sequenzen
von Worten über einem Alphabet ALPH (dies können auch Lautfolgen sein) zu assoziieren. Dazu werden folgende grundsätzlichen Beziehungen angenommen:
Kernstück der Sprachkomponente ist eine Zuordnung von sprachlichen Ausdrücken zu perzeptuellem
und konzeptuellen Elementen. Dies wird im Modell durch ein einfaches Lexikon
realisiert:
EXPR c
SOURCE x L_in' u
L_out' x INTON
CONTENT c
T' x M' x V' x P' x CPATH
LEX c
EXPR x OCCUR x CONTENT
Dies Lexikon steht nicht gleich zu Beginn zur Verfügung. Es muß im Laufe der 'Lebenszeit'
des Systems aufgrund seiner Erfahrungen aufgebaut werden. Dies leistet eine spezielle
Funktion:
built_meaning : LEX x PERC x PERC x CONC -----> LEX
Für die Nutzung des Lexikons stehen zwei Funktionen bereit: articulate und understand:
articulate: PERC X PERC x CONC x LEX -----> EXPR
understand: EXPR x PERC x PERC x CONC x LEX -----> CONTENT
Mit diesen Funktionen ist das Modellsystem in der Lage, seine Welterfahrung in Verbindung
mit sprachlichen Ausdrücken zu organisieren und entweder aktuelle eigene Erlebnisse
mit Hilfe von sprachlichen Ausdrücken zu artikulieren oder gehörte aufgrund seines aktuellen Zustandes und seines Lexikons zu interpretieren.
Doch hier beginnt das eigentliche Problem. Was auch immer ein WA A bisher in seinem
Lexikon an Zuordnungen getroffen haben mag, woher soll ein anderer WA B wissen,
welche Zuordnungen dies bei A sind?
Wittgenstein behauptet, daß eine solche gegenseitige Orientierung nur über beobachtbares
Verhalten möglich sei, und zwar ein Verhalten, das einen nicht zufälligen Rückschluß
auf das zugehörige Erlebnis zuläßt.
Nehmen wir das Beispiel der Schmerzempfindung. Wenn A gegen einen Gegenstand stößt
und dabei Schmerz empfindet, diese Schmerzempfindung P mit dem sprachlichen Ausdruck
'Aua' verknüpft, dann kann B zwar wahrnehmen, daß A 'Aua' sagt wenn er gegen einen
Gegenstand stößt, aber warum soll er dies mit einem zusätzlichem Moment, nämlich einer
Schmerzempfindung P in A verbinden? Eigentlich nur dann, wenn er irgendeinen konkreten
Anlaß zu solch einer Vermutung hat, z.B. wenn er aufgrund seiner eigenen Erfahrung
weiß, daß er selber in bestimmten Situationen, in denen er so an einen Gegenstand stößt,
wie er es bei einem anderen beobachten konnte, einen intensiven unangenehmen Zustand
Z verspürt. M.a.W. die Wahrnehmung des Anderen ist nur dann ein möglicher Hinweis
auf zeitlich korrelierte interne Zustände, wenn die Struktur der Wahrnehmung des Anderen
einen Rückschluß auf eigenes Verhalten und damit verknüpfte interne Zustände erlaubt.
Dies wiederum wird nur möglich sein, wenn die interne Erlebnis- (allgemeiner: Verarbeitungs-) Struktur der Beteiligten hinreichend ähnlich ist.
Nimmt man nun eine hinreichend ähnliche Verarbeitungsstruktur zwischen den Mitgliedern
einer Population an, dann fokussiert sich das Problem auf die Frage, ob die gemeinsam
geteilten Situationen und die verfügbare Wahrnehmung leistungsfähig genug sind, die wichtigsten internen Zustände zu kommunizieren.
In einem ersten Lösungsansatz hatte ich WAs untersucht, die als einzige Umweltwahrnehmung
eine Schmerzwahrnehmung hatten. Es schälte sich dann das Postulat heraus, daß man
soviel vom Verhalten des anderen Systems und von Verhaltenskontexten wahrnehmen können muß, daß der Transfer via eigenem Verhalten in analogen Kontexten auf die eigenen
internen Zustände und von dort auf die möglichen Zustände des anderen möglich sein
muß.
Nach mehreren Tests habe ich mich dann für ein vergleichbar einfaches visuelles Wahrnehmungssystem
entschieden.
Bezogen auf die Modellwelt, die aus einer schachbrettartigen Fläche besteht, deren
Felder entweder frei sind oder von Standardobjekten OBJ oder von WAs besetzt sind,
bedeutet visuelle Wahrnehmung ein Zweifaches: (i) Visuelle Repräsentation eines Weltausschnittes als sensorisches visuelles Muster, das differenziert genug ist, um alle jene
Eigenschaften repräsentieren zu können, die für die benötigten Entscheidungen hinreichend
sind, (ii) bzgl. der beteiligten Objekte eine invariante perzeptuelle Auswertung
der visuellen sensorischen Informationen so daß ähnliche Kontexte bzw. ähnliche Verhaltensweisen
zwischen Objekten vergleichbar sind.
Diese letzte Forderung ist relevant aufgrund der Eigenbewegung des Beobachters. Wenn
z.B. WA A sich durch die Welt bewegt -entweder in Bewegungsrichtung oder drehend-,
dann ändert sich laufend die Anordnung seiner visuellen sensorischen Matrix, obgleich
die impliziten Objektstrukturen in dieser Matrix möglicherweise konstant bleiben. Bei
biologischen Systemen wird die Eigenbewegung der Augen, des Kopfes und des Körpers
automatisch mit den visuellen Stimuli 'verrechnet' (Siehe dazu z.B.: GRÜSSER, O.-J./U.GRÜSSER-CORNEHLS [1995,26th ed.]). Von diesem Konzept wird daher auch in diesem Modellsystem
Gebrauch gemacht.
v_perc: V_SENS x ACT -----> V_PERC
V_SENS c
SENS
V_PERV c
PERC
Ferner wird angenommen, daß die visuelle Perzeption es erlaubt, im Rahmen der allgemeinen
Konzeptualisierungsfunktion concept objektbezogene Konzeptualisierungen zu generieren,
d.h. wenn sich das Beobachtersystem in der Welt bewegt und vor ihm die Fläche frei ist, dann kann es -abstrakt betrachtet- eine Beschreibung der Art FREE(area_ahead(Myself))
erstellen und ebenso, wenn es 'sieht', daß das Feld vor einem anderen Objekt in seinem
Sehfeld 'frei' ist: FREE(area_ahead(Other)). Die konzeptualisierte Form der visuellen Wahrnehmung kann daher aus solchen objektzentrierten und objektinvarianten
Beschreibungen bestehen (Eine detaillierte empirisch basierte Modellbildung findet
sich in: SINGER, Wolf [1994], SINGER, Wolf/ GRAY, Charles M. [1995]).
Mit diesen Annahmen ist es möglich, im WA eine visuelle Perzeption und deren Konzeptualisierung
zu realisieren, die es erlaubt, folgende Eigenschaften zu repräsentieren:
FREE(area_ahead(X))
OCCUPIED(area_ahead(X))
MOVING(X,Velocity)
TURNING(X,Amount)
ORIENTATION(X,Dir)
X in
{Myself, Other}
Die gesamte visuelle Perzeption bildet dann ein Eigenschaftsbündel, das von den weitergehenden
impliziten räumlichen Relationen keinen Gebrauch macht. Diese impliziten räumlichen
Relationen rühren daher, daß das visuelle Wahrnehmungsfeld V_PERC in 2x3 oder 3x3 Felder unterteilt ist und jedem Feld eine bestimmte Menge von Eigenschaften
zugeordnet ist.
Die 'Leistungen' des visuellen Wahrnehmungssystems sind 'hinreichend', wenn die generierten
Eigenschaftsbündel ausreichen, um all jene Zustände erkennbar machen zu können, die
kommuniziert werden sollen.
In unserem Modellsystem sind es vor allem die folgenden Situationen, die kommuniziert
werden sollen:
(M,-P): Ein WA bewegt sich, ohne Schmerzen zu empfinden
(M,+P): Ein WA bewegt sich und empfindet Schmerzen
(T,-P): Ein WA bewegt sich ohne Schmerzen
(S,-P): Ein WA bewegt sich nicht.
Diesen Situationen lassen sich die folgenden Eigenschaftsbündel zuordnen:
(M,-P): FREE(area_ahead(X)) & MOVING(X,Velocity) & ORIENTATION(X,Dir) & ~PAIN(Myself,P)
(M,+P): OCCUPIED(area_ahead(X)) & MOVING(X,Velocity) & ORIENTATION(X,Dir) & PAIN(Myself,P)
(T,-P): TURNING(X,Amount) & ~PAIN(Myself,P)
(S,-P): ~MOVING(X,Velocity) & ~TURNING(X,Amount) & ORIENTATION(X,Dir) & ~PAIN(Myself,P)
Damit sind die prinzipiellen Voraussetzungen dafür gegeben, daß die für unser Modellsysteme
wichtigen Situationseigenschaften wahrnehmungsmäßig repräsentierbar sind. Nehmen
wir nun an, wir hätten die folgenden beiden Lexikoneinträge bei WA A:
SOURCE ... EXPR ... CONTENT
...Myself...'go_pain'...(M,+P)-Beschreibung....
...Other..'Aua'...(M,+P)-Beschreibung...
mit den folgenden Details der Beschreibungen:
Myself: (M,+P)-Beschreibung:
OCCUPIED(area_ahead(Myself)) & MOVING(Myself,Velocity) & ORIENTATION(Myself,Dir) &
PAIN(Myself,P)
Other: (M,+P)-Beschreibung:
OCCUPIED(area_ahead(Other)) & MOVING(Other,Velocity) & ORIENTATION(Other,Dir)
Da wir n.V. davon ausgehen können, daß die Beschreibung von Myself:(M,+P) und OTHER:(M,+P)
imm Bereich des Lexikons gegenüber allen anderen Situationsbeschreibungen die deutlich
größte Ähnlichkeit besitzen, besteht die Möglichkeit, daß der Beobachter A den CONTENT von beiden Einträgen als 'lexikalisch hinreichend ähnlich' qualifiziert und
damit die Verwendung der Wörter 'go_pain' und 'Aua', die von zwei unterschiedlichen
Quellen stammen, hypothetisch als 'gleichbedeutend' einstuft. Mehr noch, wenn A unterstellt, daß die andere Quelle B ihm 'strukturell ähnlich' ist -eine pragmatisch sinnvolle
Annahme, da nur sie Kommunikation sinnvoll erscheinen läßt- kann A aufgrund seiner
Beschreibung dann noch die Hypothese bilden, daß nicht nur A selbst in dieser Situation PAIN empfindet, sondern auch B, von dem er primär nur das äußerliche Verhalten
kennt.
Damit wäre genau das möglich, was Wittgenstein gefordert hat: A kann die Schmerzen
von B nicht direkt wahrnehmen, aber da er von B eine Verhaltensbeschreibung (M,+P)
besitzt, die mit seiner eigenen bis auf die Schmerzen übereinstimmt, liegt -unter
Voraussetzung der Ähnlichkeitsannahme- der Schluß nahe, daß auch B Schmerzen empfindet.
Die Rekonstruktion eines WA ist damit fast an ihrem Ende angelangt. Es bleibt nur
noch zu klären, was zwei WAs machen, wenn jeder seine eigene sprachliche Benennungen
besitzt und alle Beteiligten voneinander wissen, welche Benennungen der andere in
bestimmten Situationen benutzt. Welche der möglichen Benennungen sollen dann übernommen
werden?
Unterscheidet man in einer Population zwischen Eltern und Kindern, dann kann man als
ein Prinzip annehmen, daß Kinder zunächst die Wortwahl der Eltern übernehmen. Es
bleibt dann das Restproblem, wie einigt sich das 'erste' Elternpaar einer Population?
Bis zu dem Tag, wo bessere Vorschläge vorliegen, wird hier pragmatisch angenommen, daß
in einem Modellsystem von WAs immer jenes Geschlecht ein Übergewicht besitzt, das
dem Geschlecht des Projektleiters entspricht.
3. Knowbots als multidisziplinäres Modellierungsinstrument?
An dieser Stelle nun einige Überlegungen zur Frage, ob und wie man Knowbots als Modellierunssysteme
für verschiedenste Disziplinen benutzen kann.
Dazu sei zunächst festgestellt, daß Knowbots hier als Verallgemeinerung von WAs verstanden
werden. Eine scharfe Definition ist z.Zt. noch nicht möglich. Generell aber sollen
Knowbots die Fähigkeit von WAs enthalten zusammen mit all jenen Eigenschaften und
Strukturen, die notwendig sind, um physiologische, psychologische sowie philosophische
Modellbildungen vorzunehmen.
Das vorgelegte Beispiel der Konstruktion von WAs sollte vornehmlich dazu dienen, um
zu zeigen, wie die Struktur solcher Modellsysteme zustande kommt und wie man auf
diese Weise selbst solche scheinbar unlösbaren Probleme wie sprachliche Kommunikation
aufzuschlüsseln vermag. Für konkrete empirische Untersuchungen realer Systeme, speziell
des Menschen, sind solche Modell-Strukturen, wie sie hier benutzt wurden, sicher
noch zu einfach. Doch sollte das vorgelegte Beispiel immerhin so viel deutlich gemacht
haben, daß sich diese Strukturen prinzipiell auf jede empirische Verfeinerung hin ausdehnen
lassen. Ob und in welchem Ausmaß dies geschieht, wird von den beteiligten Wissenschaftlern
oder Forschungsgruppen abhängen.
In Anlehnung an die eingangs aufgezeigten wissenschaftstheoretischen Strukturen würde
es für einen zukünftigen Forschungsprozeß naheliegen, mindestens drei Theoriedimensionen
parallel zu schalten: eine physiologische Theorie T_phys, die die wesentlichen Strukturen des Körpers abzubilden trachtet, eine phänomenologische und psychologische
Theorie T_phen, die versucht, die Erlebnisseite des Gehirns zu rekonstruieren, und
eine populationsorientierte Verhaltensforschung T_soc, die das Verhalten der konkreten
Systeme in sozialen Kontexten untersucht. Begleitend zu allen wäre eine allgemeine
Theorie der Welt T_world als Rahmentheorie anzunehmen.
Durch die Integration dieser drei (vier) Theorien durch Bezugnahme auf eine integrierte
Modellbildung wäre es dann möglich, das Wechselspiel der verschiedenen theoretischen
Perspektiven in und an einem einzigen konkreten System zu veranschaulichen und zu
testen. Die klärende Wirkung einer solchen Modellbildung für die Forschung wie für
die Lehre wäre sicher enorm.
Angesichts der Komplexität des Forschungsgegenstandes von Populationen sprachmächtiger
Systeme ist es natürlich klar, daß der Gegenstandsbereich nur durch kleine und kleinste
Schritte angenähert werden kann. Ausgrund der bisherigen Arbeiten und im Hinblick auf die anwesenden Referenten könnte ich mir z.B. das folgende Modellierungsszenario
vorstellen:
Ausgangspunkt bildet das Theorie- und Modellierungskonzept, so, wie es hier vorgestellt
wurde.
Für die nächste Etappe könnte man sich ausgewählte Aspekte der (Neuro-)Physiologie,
der Ethologie und des Erlebnisraumes auswählen und versuchten, die Null-Generation
der Knowbots, so wie sie in Form der WAs vorliegen, durch Einbeziehung von konkreten
empirischen Forschungsresultaten zu erweitern.
So liegt es z.B. nahe, z.B. (1) für den Bereich der Wahrnehmung
die Ergebnisse zur Neurophysiologie, zur Neuropsychologie und zur Phänomenologie
des Sehens einzubeziehen. Für den Komplex der Bewertung und des Planens
müßte man (2) die Bedürfnisse und Emotionen einbeziehen. Für die sprachliche Kommunikation
wäre es notwendig (3) die Struktur minimaler Sprechakte wie Feststellung, Frage,
Bejahung und Verneinung sowie Befehl zu klären, dies verhaltensorientiert, neuropsychologisch
und phänomenologisch. Für den Bereich der Konzeptbildung
müßte (4) geklärt werden, wie tatsächlich Begriffe gebildet und miteinander vernetzt
werden; wie verlaufen hier Schlußfolgerungen. Auch hier wäre wieder das Zusammenspiel
von Verhalten, Neurologie und Phänomenologie wichtig. Schließlich müßte (5) die soziale Interaktion
als solche auch thematisiert werden, legt sie doch die äußeren Rahmenbedingungen
fest, innerhalb deren sich die einzelnen Systeme aktiv verhalten können. Quer zu
allen bisher genannten Bereichen sollte auf jeden Fall auch (6) das kreativ-künstlerische Verhalten
von Systemen untersucht werden: die Fähigkeit zum Spielen, zum Malen, zum Musizieren,
zum Tanzen etc. Diese Fähigkeiten offenbaren u.U. mehr über die wahre Eigenart solcher
Systeme als die sogenannten 'Standardfälle'.
Das Institut für Neue Medien hat von der Expo2000 das offizielle Angebot, Knowbots
im Rahmen des Themenparks der Expo im Jahr 2000 der Öffentlichkeit vorzustellen.
Es wäre eine große Chance, in solch einem Rahmen das Zusammenspiel wichtiger Disziplinen
in einer neuen, zukunftsweisenden Form der multidisziplinären Zusammenarbeit zu demonstrieren.
Ich möchte diesen Vortrag daher beschließen, indem ich die verschiedenen anwesenden
Experten einlade, sich zu überlegen, ob sie vielleicht eine Möglichkeit sehen, sich in naher Zukunft zu solch einem neuartigen multidisziplinären Modellversuch zusammen
zu finden.
4. Literaturnachweise
J.AUDRETSCH/ K.MAINZER
(eds) [1988], Philosophie und Physik der Raum-Zeit
, BI-Wissenschaftsverlag, Mannheim - Wien - Zürich.
W.BALZER
[1982], Empirische Theorien: Modelle, Strukturen, Beispiele
, Fr.Viehweg & Sohn, Braunschweig - Wiesbaden.
W.BALZER/ C.U.MOULINES/ J.D.SNEED
[1987], An Architectonic for Science
. The Structuralist Program, Dordrecht.
W.F.CLOCKSIN/ C.S.MELLISH
[1984, 2nd ed.], Programming in Prolog
, Springer-Verlag, Berlin - Heidelberg -New York et al.
G. DÖBEN-HENISCH
[1994], Knowbots und Interaktives Fernsehen. Das Knowbotic Interface Projekt als Herausforderung
an die KI
, Gekürzte Fassung eines Vortrages im Rahmen des Workshops Interaktives Fernsehen
im Institut für Neue Medien, 7.Juni 1994, Frankfurt. Engl. Fassung in Tightrope,
HBK Saar - Forschungsprojekt Internet, Febr. 1995, SS.10-14; Engl. und Deutsch see:
http://www.inm.de/kip/BOOKS/memography.html
G. DÖBEN-HENISCH
[1995], The BLINDs WORLD I. Ein philosopisches Experiment auf dem Weg zum digitalen Bewußtsein
, in: K.GERBEL/ P.EIBEL (eds.), Mythos Information. Welcome to the wired world. @rs
electronica 95, Springer-Verlag, Wien u.a., pp.227-244. see: http://www.inm.de/kip/BOOKS/memography.html
G. DÖBEN-HENISCH
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