Bewußtseinssimulatoren als Instrumente der Linguistik?



AUTHOR: Dr. Gerd Döben-Henisch
FIRST DATE: June-13 1996
DATE of LAST CHANGE: June-13 1996



Das Phänomen der sprachlichen Bedeutung als methodische Herausforderung



  1. Die Bewußtseinssimulatoren, von denen ich heute sprechen will, verdanken ihrer Entstehung einer philosophischen Fragestellung, die aufs engste verknüpft ist mit psychologischen, phonetischen, linguistischen, semiotischen wie auch physiologischen Aspekten unseres Weltwissens und Sprachhandelns.

  2. Auslöser für die philosophische Fragestellung war zum einen das Phänomen der sprachlichen Bedeutung und zum anderen die Frage nach den erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen Bedingungen, unter denen sich dieses Phänomen adäquat analysieren läßt.

  3. In unserem alltäglichen vorwissenschaftlichen Sprachhandeln haben wir ein intuitives Wissen davon, daß Sprache nicht alleine durch den benutzen Lautstrom oder die benutzte Schriftzeichen definiert ist, sondern vor allem auch durch das, was mittels solcher sprachlicher Ausdrucksmittel im jeweiligen Sprecher-Hörer z.B. an 'Vorstellungen', 'Erinnerungen', 'Gefühlen', 'Handlungen' usf. aktiviert werden kann.

  4. Vorwissenschaftlich nennen wir diese, die sprachlichen Ausdrucksmittel begleitenden Phänomene, global die 'Bedeutung der sprachlichen Ausdrucksmittel', ohne damit in irgendeiner Weise erklärt zu haben, was es denn genau ist, was wir da mit dem Label 'sprachliche Bedeutung' benennen.

  5. Aus unserer Alltagserfahrung ist ferner bekannt, daß das Zusammenspiel von Ausdrucksmittel und sprachlicher Bedeutung keinen statischen Zusammenhang bildet, nicht fixiert ist, sondern sich -besonders deutlich sichtbar beim Erstsprachenerwerb- langwierig, über viele Jahre hin kontextabhängig entwickelt, was einen möglichen Hinweis auf intensive und komplizierte Lernprozesse darstellen kann.

  6. In vorwissenschaftlicher Perspektive weiterhin bemerkenswert, ja, von nachgerader fundamentaler Bedeutung, ist der Umstand, daß die Phänomene, die die sprachliche Bedeutung konstituieren, aus der Sicht eines Sprachteilnehmers weitgehend an die 'Innenzustände' eines Sprechers-Hörers gebunden sind bzw. mit 'subjektiven Erlebniszuständen' korrelieren, zu denen nur der Erlebende selbst einen direkten und damit privilegierten Zugang hat.

  7. Der systematische begriffliche Umgang mit subjektiven Tatbeständen hat eine ausgeprägte Tradition in der Philosophie und -nicht ganz so dezidiert- in den sich an die Philosophie anlehnenden Geisteswissenschaften. Unter dem Einfluß der erfolgreichen empirischen Wissenschaften, die sich methodisch ausschließlich auf erlebnisunabhängige Datenbestände beschränken, kam es aber spätestens seit dem 19.Jahrhundert zu methodischen Neuorientierungen auch in Disziplinen wie z.B. der Sprachwissenschaft, der Linguistik, speziell auch der Psychologie, die zu einer Abschwächung wenn nicht gar Eliminierung der subjektiver Datenbestände geführt hat. Dieser Trend ist so stark, daß es selbst innerhalb der Philosophie zur Ausbildung von Forschungsparadigmen gekommen ist, die zumindest eine methodische Abwertung subjektiver Tatbestände impliziert. Exemplarisch sei verwießen auf die Analytische Philosophie im Gefolge des Wiener Kreises und Wittgensteins sowie auf die jüngsten Tendenzen einer sogenannten Naturalisierung des Geistes.

  8. Jeder aber, der selbst an der 'Wissenschaftsfront' aktiv im Einsatz ist und der nicht ideologisch fixiert ist, weiß aus eigenster Erfahrung, daß das Phänomen der sprachlichen Bedeutung mit seiner intimen Bindung an individuelle Erlebniszustände 'im' Sprecher-Hörer seine Existenz nicht dadurch verliert, daß man es programmatisch zu verbannen sucht.

  9. In den folgenden Überlegungen möchte ich unter Benutzung des heute verfügbaren wissenschaftstheoretischen Instrumentariums zu zeigen versuchen, warum man die individuellen Erlebniszustände eines Sprecher-Hörers im Rahmen der Rekonstruktion des sprachlichen Bedeutungsphänomens einbeziehen muß, und wie dies geschehen kann, ohne dabei die bisherigen empirischen Resultate über Bord werfen zu müssen und unter voller Beibehaltung aller empirischer Standards.




Comments are welcome to doeb@inm.de




INM



Daimlerstrasse 32, 60314 Frankfurt am Main, Deutschland. Tel +49- (0)69-941963-0, Tel-Gerd: +49- (0)69-941963-10