Bewußtseinssimulatoren als Instrumente der Linguistik?



AUTHOR: Dr. Gerd Döben-Henisch
FIRST DATE: June-13 1996
DATE of LAST CHANGE: June-13 1996



Reine Verhaltenstheorie und Sprachpsychologie



  1. Als erstes möchte ich das Konzept einer reinen Verhaltenstheorie formulieren. Konkrete historische Beispiele dazu finden sich mehr oder weniger in den verschiedenen Spielarten des psychologischen Behaviorismus.

  2. Im Rahmen einer reinen Verhaltenstheorie betrachtet der Forscher abgrenzbare Verhaltenssysteme 'von außen' und versucht relativ zu diesen (i) 'Reizklassen' (= Stimuli S) zu eruieren, auf die diese Systeme erkennbar (ii) 'reagieren' (=Reaktionen R). Man spricht daher auch von Stimulus-Response-Systemen bzw. S-R-Systemen.

  3. Die möglichen Meßwerte sind dann solche S-R-Paare, die aufgrund ihres zeitlichen -und sachlichen!?- Zusammenhanges als 'korreliert' erscheinen, d.h. D = {(S,R), ..., (S,R)}.

  4. Aufgrund von Teilmengen von solchen S-R-Paaren lassen sich dann Hypothesen über mögliche Zusammenhänge zwischen Stimuli und Reaktionen formulieren. Die generelle Hypothese lautet f = fn + ... + fo mit SUBSET(fo, DATA), ..., SUBSET(fn, DATA) & fo: S ---> R, ..., fn: S ---> R.

  5. Formuliert man aufgrund dieser Hypothese eine Theorie Tsr, dann umfaßt diese Theorie mindestens die Objektklassen 'S' und 'R' sowie mindestens eine Funktion 'f': Tsr = < <S, R >, < f0, ...,fn, f>, A >. Die Funktion 'f' stellt aber einen theoretischen Term dar, für den es keine direkte empirische Entsprechung gibt.

  6. solange die Gesamttheorie mit den verfügbaren Daten in keinen direkten Konflikt gerät stellt die Verwendung theoretischer Terme prinzipiell kein Problem dar. Dennoch kann es hier zu Plausibilitätsproblemen kommen. Lassen sie mich dazu Theo HERRMANN aus seiner Allgemeinen Sprachpsychologie von 1985 zitieren.

  7. HERRMANN geht davon aus , daß daß eine reine Verhaltenstheorie für die Zwecke einer allgemeinen Sprachpsychologie zu eng ist (p.12). Es reicht nicht aus, nur bloße Afferenzen oder Efferenzen im Sprecher-Hörer-System anzunehmen, vielmehr braucht es auch vermittelnde Systeme für die Speicherung von komplexen Daten und deren Verarbeitung (p.10). Er geht davon aus, daß ein Sprecher-Hörer mindestens die Absichten und Erwartungen der anderen Gesprächsteilnehmer für sich modellieren kann wie auch in der Lage ist, Konventionen, bzw. generell soziale Institutionen, zu internalisieren und deren Einhaltung bzw. Nichteinhaltung bei der Handlungsplanung zu berücksichtigen (S.12f, 31f, 33, 34). Gleichzeitig scheint HERRMANN aber an der forderung festhalten zu wollen, daß die Datenbasis ausschließlich aus S-R-Daten besteht.

  8. In Konsequenz dieser Forderung sieht sich HERRMANN gezwungen, bei der Modellierung von Sprecher-Hörer-Systeme starke Hypothesen bzgl. der internen Struktur dieser Systeme zu bilden, die, formuliert in einer theoretischen Sprache, im Rahmen der Theoriebildung dann theoretische Begriffe bzw. theoretische Konstrukte darstellen, die in keiner Weise direkt beobachtbar sind. Man kann diese Hypothesen nur sehr indirekt über empirische Anzeichen oder Indikatoren zu testen versuchen (p. 30, 98, 106f).

  9. Obgleich dieses Vorgehen im Sinne der Wissenschaftstheorie formal korrekt ist, muß man hier die Frage stellen, wieweit die inhaltlichen Annahmen zu spezifischen internen Strukturen und Prozessen nicht in völlige Willkür und damit in Beliebigkeit ausarten? Im Grenzfall führt diese Beliebigkeit nämlich zu einer Annulierung der postulierten theoretischen Strukturen. Ich zitiere HERRMANN: Es ist fraglich, ob man überhaupt sagen darf, daß es ein und derselbe Prozeß ist, der in mehreren Beschreibungssprachen und/oder auf verschiedenen Abstraktionsniveaus beschrieben wird. Wahrscheinlich wird ein interner Prozeß erst dadurch theoretisch konstituiert, daß er auf bestimmten Abstraktionsniveau mit bestimmten Beschreibungsmitteln beschrieben wird (p.107).

  10. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht stellt sich die Sachlage dann so dar: formal gesehen kann die Sprachphilosophie beliebig komplexe theoretische Strukturen formulieren, die sich an den 'Rändern' in weitgehender Übereinstimmung mit den verfügbaren empirischen Daten befinden, aber die rein auf Verhaltensdaten basierenden empirischen Daten erlauben es nicht, zwischen konkurrierenden theoretischen Deutungen zu entscheiden. Die Datenbasis ist einfach zu schwach.

  11. Die Schlußfolgerung aus diesem Befund lautet denn auch ganz klar: eine anspruchsvolle sprachphilosophische Theoriebildung, die das Prädikat Theorie verdient, ist bei dieser Datenlage entweder nicht m&oum;glich, oder aber es gibt noch eine zusätzliche Möglichkeit, brauchbare Daten für solch eine Theoriebildung verfügbar zu machen.

  12. Elements of a formal empirical S-R-Theory





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