Bewußtseinssimulatoren als Instrumente der Linguistik?
AUTHOR: Dr. Gerd Döben-Henisch
FIRST DATE: June-13 1996
DATE of LAST CHANGE: June-13 1996
Konstitutionselemente einer wissenschaftlichen Theorie
- Wenn ich im Folgenden von einer wissenschaftlichen Theorie spreche, gehe ich von folgendem Forschungsszenarium aus:
- Es gibt eine Gruppe von Wissenschaftlern, die aufgrund ihrer Forschungsinteressen ein Datenerhebungsverfahren M vereinbaren, dessen Anwendung sowohl einen Untersuchungsbereich konstituiert wie auch eine Menge möglicher Daten. Mittels einer vereinbarten Datenbeschreibungssprache L lassen sich die Meßergebnisse des Meßverfahrens M in ein Menge von protokollierten Daten D_L.M abbilden.
- Sofern die erhobenen Daten auf implizite Strukturen und Gesetzmäßgkeiten verweisen, müssen diese explizit gemacht werden. Dies geschieht durch
- explizite Formulierung von Klassen, Relationen, Funktionen und Gesetzmäigkeiten mittels einer Theoriesprache L'. Es soll gelten L c L'.
- explizite Angabe einer Struktur T = <O,R,A >, in der O die Menge der vorausgesetzten Objektklassen repräsentiert, R die Menge der vorausgesetzten Relationen (inklusive der Funktionen), sowie A die Menge der Axiome. Es soll gelten D_L.M c A und die Menge der Theoreme der Theorie T soll konsistent sein CONS(theorems(T)).
- Relativ zu einer Theorie lassen sich auch Simulationsmodelle angeben:
- Als formale Strukturen.
- Als physikalische Strukturen/ Prozesse.
Im Falle von Computermodellen hat man beides: das konkrete physikalische Modell mit einem implementierten Programm wie auch ein formales Designmodell. Alle drei Komponenten -Theorie, formales Designmodell, physikalisches Modell- müssen bzgl. ihrer Beziehungen untereinander definiert sein.
- Den unterschiedlichen Charakter intersubjektiver (= empirischer) und subjektiver Meßverfahren mögen die beiden folgenden einfachen Beispiele verdeutlichen:
- Physiker vereinbaren die zwei Standardobjekte das 'Urmeter' und das 'Urkilogramm' und benutzen diese Standardobjekte um andere Meßobjekte relativ zu den Standardobjekten 'zu vermessen'. Ein Meßobjekt A kann auf diese Weise z.B. die Daten liefern LENGTH(A, 1m), WIDTH(A,0.5m), BREADTH(A,0.75m), WEIGHT(A,1250kg), dabei ist 'A' ein Bezeichner (Designator), der auf das Meßobjekt A verweist.
- Phonetiker vereinbaren die zwei Standardobjekte 'i' und 'u' durch Bezugnahme auf reproduzierbare Tonaufzeichnungen oder durch Bezugnahme auf maschinell erzeugte Lautereignisse. Das eigentliche 'Messen' von einem Lautereignis A geschieht im Falle der Ohrenphonetik allerdings durch subjektive Wahrnehmungsereignisse im Phonetiker, der gelernt hat, den Standardobjekten spezifische subjektive Lautmerkmale zuzuordnen, mittels deren er in der Lage ist, das Auftreten von Meßobjekten durch Bezugnahme auf die charakteristischen Lautmerkmale der Standardobjekte als solche Lautereignisse zu klassifizieren, die dem Standardobjekt bzgl. der gelernten Eigenschaften hinreichend 'ähnlich' sind (Etwa: u = <mu1, ..., mun>, i = <mi1, ..., mis>). Auf diese Weise können Daten entstehen wie PHONEM(A,u), PHONEM(A,i), wobei A wieder ein Bezeichner (Designator) ist.
- Verglichen mit dem physikalischen Meßvorgang wirkt die Ohrenphonetik 'subjektiv', doch der Blick auf unsere alltägliche Sprechpraxis demonstriert, daß das Rekurrieren auf sprecher-hörer-interne Lauteigenschaften hinreichend stabil ist. Jeder von ihnen hier im Saal wird sofort registrieren, daß das Lautereignis 'Euto' sich von 'Auto' unterscheidet. Dies kann man als einen deutlichen Hinweis darauf werten, daß individuelle interne Zustände eines Sprechers-Hörers hinreichend stabil sein können, um daran ein individuelles Begriffliches System zu orientieren.
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