KIP II Agententheorien
Einleitung

This is a working paper which will probably be rewritten several times in the next months.


AUTHOR: Dr. Gerd Döben-Henisch
FIRST DATE: April-15, 1995
DATE of LAST CHANGE: April-26, 1996



KIP II ist dem Projekt einer phänomenologischen Selbstbeschreibung des Bewußtseins gewidmet. Im Brennpunkt der Rekonstruktion soll der Erwerb und der Gebrauch natürlicher Sprachen stehen.

Wie die weitere Ausarbeitung zeigen wird, impliziert der Aspekt des Erwerbs eine zeitliche Perspektive, die sich über viele Jahre, ja Jahrzehnte, wenn nicht gar über die gesamte Lebenszeit eines Organismus erstreckt. Zudem ist das Phänomen der Sprache kein einheitliches, sonern ein komplexes Phänomen, das mit sehr vielen Aspekten des Organismus verwoben ist. Eine adäquate Darstellung des Phänomens des Spracherwerbs und des Sprachgebrauchs ist von daher nur möglich, wenn man alle beteiligten Faktoren gleichzeitig und in angemessener Weise behandelt.

Aus wissenschaftstheoretischer Sicht legen sich folgende begriffliche Strategien nahe (Die phänomenologische Theorie des Bewußtseins ist erkenntnistheoretisch die primäre Theorie gegenüber T-OBJ und T-PHYS. Aus praktischen Gründen kann es im Einzelfall günstig sein, T-OBJ aufgrund der einfacheren Datenstruktur und der günstigeren intersubjektiven Verständnislage vorzuschalten. Dieser Weg wird hier eingeschlagen.).


(1) Verhaltensorientierte Theorie (T-OBJ)


Als erster Zugang bietet sich eine verhaltensorientierte Theorie (T-OBJ) an, die den Gesichtspunkt der Entwicklung berücksichtigt. Entlang einer Zeitachse werden solche Stimulus-Response- (oder einfach nur Response-) Klassen zusammengestellt, die -bezogen auf ein Individuum- für bestimmte Zeitabschnitte charakteristisch zu sein scheinen und die sich mittels einer Ordnungsrelation PREC ordnen lassen. Verhalten wird hier nur indirekt in Abhängigkeit von der Zeit T gesehen; in erster Linie ist es abhängig von einer vorausgesetzten Struktur ST, die sich aufgrund vorgegebener Transformationen TR ändern kann und die in Abhängigkeit von dem jeweiligen Strukturzustand (ST)i unterschiedliche Responseklassen generiert, z.T. abhängig von bestitmmten Stimulusklassen.

Als Datenbasis dienen Protokolle PROT von einzelnen Individuen <A0, ..., An> mit Ai = S oder (S-R) und PREC(Ai,Ai+1).

Relativ zu diesen Daten wird eine hypothetische Funktion f konstruiert, die die eigentliche theoretische Deutung liefert:

V = R = f(ST,TR,Ai.j,T)

mit Ai.j als dem i-ten Element des Protokolls des j-ten Individuums.

Eine solche Verhaltenstheorie hat eine gewisse Nähe zur Entwicklungspsychologie (siehe (OERTER/ MONTADA 1987)). In Anlehnung an (KESSEN 1960) übernimmt (MONTADA 1987:6) den Vorschlag, den Gegenstand der Entwicklungspsychologie abhängig zu machen vom Verhalten unter Berücksichtigung des Lebensalters. In diesem Sinne auch (PETERMANN 1987:1019), für den die Entwicklungspsychologie einen Zusammenhang herstellt zwishen Alter und Verhalten, Denken, Fühlen u.a. Außerdem geht es primär um intraindividuelle Veränderungen (PETERMANN 1987:1017).

Die üblicherweise in der Entwicklungspsychologie zur Anwendung kommenden Verfahren (siehe einen Überblick mit kritischer Würdigung bei (PETERMANN 1987)) sind im Kontext von KIP II nur insoweit anwendbar, als sie (i) entweder eine Aufklärung typischer Stimulus- oder Response-Klassen samt einer Ordnungsrelation liefern oder (ii) kausale Zusammenhänge und deren mögliche Transformationen erschließen.

Die verhaltensorientierte Theoriekomponente von KIP II kann man daher als einen möglichen Beitrag zur Entwicklungspsychologie auffassen. KIP II T-OBJ stellt eine Radikalisierung des Ansatzes kausaler Erklärungsmodelle dar, der zudem von Anfang an mit der Konstruktion von Computersimulationen verknüpft wird.

Der theoretische Kern von T-OBJ bietet eine Hypothese über mögliche kausale Mechanismen, die für das Verhalten verantwortlich sind.

Nach dem bisherigen Wissensstand muß man davon ausgehen, daß für das Verhalten und seine Änderungen sowohl physiologische (genetische), umweltspezifische wie auch organismusinterne Faktoren verantwortlich sind (siehe dazu im Überblick auch (MONTADA 1987)). Aufgrund der methodischen Voraussetzungen ist es in T-OBJ nicht möglich, alle diese Faktoren adäquat zu behandeln. Im Rahmen von T-OBJ gibt es nur die Möglichkeit, willkürliche Annahmen zu treffen, um Hypothesen zu generieren.

Im Rahmen von phänomenologischen Theorien (T-PHEN, s.u.) sowie physiologischer Theorien (T-HYS, s.u.) gibt es allerdings zahlreiche Fakten, die helfen könnten, den Grad der Willkür bzgl. der Hypothesenbildung in T-OBJ zu minimieren. Im Kontext von KIP II wird daher die Theorie T-OBJ mit einer phänomenologischen wie auch einer physiologischen Theorie korreliert werden.


(2) Phänomenologische Theorie (T-PHEN)


Die phänomenologische Theorie T-PHEN ist prinzipiell unabhängig von einer verhaltensorientierten Theorie. T-PHEN liefert im Idealfall die Strukturbeschreibung eines Bewußtseins unter Berücksichtigung chrakteristischer Phasen relativ zu einer expliziten Zeitachse. Erfahrungsgemäß gehen aber die 'frühen Entwicklungsphasen' für solch eine Theoriebildung verloren, da die für die Erstellung von T-PHEN vorauszusetzende Selbstbeschreibungskompetenz erst in einem vergleichbar 'späten' und 'weit entwickeltem' Entwicklungsstand erreicht wird. Außerdem ist eine Verständigung zwischen verschiedenen Forschern über die Inhalte der Therie T-PHEN nicht einfach.

Auch in T-PHEN gibt es eine Datenbasis bestehend aus Protokollen PROT, die jedes einzelne Individuum für seinen individuellen Phänomenraum erstellt. Die Erstellung von Protokollen in T-PHEN setzt voraus, daß es Prädikate für Phänomenklassen und Transformtionen zwischen Phänomenklassen gibt, d.h. die Deskription setzt schon Entscheidungen über das voraus, was beschrieben werden soll.

Relativ zu dieser Datenbasis gibt es eine theoretische Deutung, die als Strukturkern ST das Auftreten von Phänomenen und ihre Veränderungen beschreibt. In Anlehnung an T-OBJ kann man die Phänomenklassen in solche einteilen, die 'fremdverursacht' sind und in diesem Sinne als Stimuli fungieren, und solche, die 'selbstverursacht' sind und in diesem Sinne als Responses angesehen werden können. 'Fremdverursacht' kann dann bedeuten 'körperextern', 'körperintern' (propriozetiv), oder 'transzendent' (keine im Bereich Körper oder externer Welt lokalisierbare Ursache). Die theoretische Deutung in Form des Strukturkerns ST bezieht sich dann auf den funktionalen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Stimuli und dem Auftreten von Responses.

Wie im Falle von T-OBJ kann es u.U. Transformationen des Strukturkerns ST in der Zeit geben. Aufgrund der vorauszusetzenden hochentwickelten Selbstbeschreibungskompetenz im Falle von T-PHEN dürften sich 'frühe' Phasen der Entwicklung der Erfassung durch T-PHEN entziehen.

Da es für jeden Stimulus und jeden Response aus T-OBJ innerhalb der gleichen Zeitphase (und jenen Entwicklungsphasen, die sich in T-PHEN darstellen lassen) eine eineindeutige Entsprechung in T-PHEN gibt, läßt sich die Datenbasis von T-OBJ vollständig in T-PHEN abbilden.


(3)Physiologische Theorie (T-PHYS)


Für die Rekonstruktion des bewußten Verhaltens könnte man sich mit (1)-(2) begnügen. Da aber nach heutigem Wissensstand davon auszugehen ist, daß große Teile des bewußten Verhaltens -manche meinen sogar, das gesamte Verhalten- ausschließlich durch Rekurs auf physiologische Prozesse 'erklärt' werden kann, soll hier auch eine physiologische Theorie T-PHYS konstruiert werden. T-PHYS ist prinzipiell unabhängig von T-OBJ und T-PHEN.

T-PHYS liefert typischerweise Strukturbeschreibungen ST von Zellen, Zellverbänden, Organen, Stoffwechselprozessen usw.

Für die Korrelation mit T-OBJ bietet es sich an, diese Strukturbeschreibungen in Relation zu setzen zu den Stimuli bzw. Responses bzw. S-R-Paaren aus den Protokollen von T-OBJ. Ein solches Vorgehen trifft sich mit dem Vorgehen einer physiologischen Psychologie bzw. einer Neuropsychologie (vgl. (KOLB/ WHISHAW 1993)).

Man kann dann die physiologischen Strukturbeschreibungen als (partielle) funktionale Deutungen für das Auftreten beobachtbarer Responses auffassen.

Durch die gleichzeitige Koppelung der T-OBJ Protokolle mit den phänomenalen funktionalen Deutung kann man dann versuchen, die phänomenalen und die physiologischen funktionalen Deutungen zu korrelieren.


(4) Das KIP II Methodengeflecht


Wie (1)-(3) zeigen, kann eine einigermaüen erschöpfende Beshreibung und Rekonstruktion von lernendem Verhalten nur über den Verbund dreier unterschiedlicher wissenschaftlicher Methoden geleistet werden. Für das praktische Vorgehen im Rahmen von KIP II ergibt sich damit die folgende Abfolge von Untersuchungschritten:

(i) Ausgangspunkt bilden die Protokolle von T-OBJ, die S-R-Klassen in einer zeitlichen Ordnung vorgeben.

(ii) über die Abbildung von Stimuli und Responses aus T-OBJ mit den entsprechenden Phänomenen aus den Protokollen von T-PHEN läßt sich T-OBJ mit T-PHEN korrelieren und eröffnet damit die Möglichkeit, die funktionalen Deutungen von T-OBJ mit den Daten von T-PHEN zu motivieren.

(iii) Analog zu (ii) kann man die funktionalen Deutungen von T-PHYS über die S-R-Strukturen von mit T-OBJ korrelieren.

(iv) Unter Voraussetzung von (ii) und (iii) kann man dann versuchen die phänomenologischen funktionalen Deutungen mit denen von T-PHYS zu korrelieren. Damit eröffnet sich die Möglichkeit einer physiologischen Interpretation phänomenaler Daten oder umgekehrt.

Die Abfolge von (ii) und (iii) kann man auch vertauschen. Da in der heutigen Literatur eine Trennung von T-OBJ und T-PHYS sowieso kaum durchzuhalten ist, wird es in der Praxis darauf hinauslaufen, daß man zunächst ein Modell anhand von T-OBJ und T-PHYS baut, und parallel dazu ein Modell mittels T-PHÄN.

Nach dem heutigen Wissensstand ist davon auszugehen, daß das Bewußtsein trotz seiner physiologischen Basis die Möglichkeit hat, 'sich selbst' in gewissem Umfang Ziele zu setzen, die sich aus der physiologischen Basis 'nicht zwingend ergeben'. Dies impliziert den Aspekt der Autokybernetik, der nicht zu verwechselns ist mit dem Aspekt der Autopoiesis materieller Systeme. Bei dem aktuellen Kenntnisstand ist es nicht einmal auszuschließen, daß es Faktoren geben kann, die auf das Bewußtsein einwirken, die weder physiologischer Natur sind noch aus der sinnlich wahrnehmbaren Umgebung des Organismus stammen. Solche 'transzendente' Faktoren sind qua Bewußtseinsphänomene aber alles andere als 'un-wirklich'.

Die Schritte (i) - (v) sind u.U. mehrmals zu wiederholen. Momentan ist kein definierter Zustand bekannt, den man in der geordneten Sequenz von Strukturbeschreibungen als eine 'erschöpfende -und damit 'letzte'- Beschreibung' angeben könnte.

Die nachfolgenden Ausarbeitungen werden zeigen, daß es beim aktuellen Stand der Neurowissenschaften zu den meisten relevanten Phänomenkomplexen noch keine adäquaten physiologischen Korrelate gibt. Zu vieles ist noch nicht genügend erforscht. Dies bedeutet, daß KIP II für weite Bereiche auf eine Bereitstellung physiologischer Korrelate verzichten muß. Hier -und nicht nur hier- bleibt daher genügend Raum für zukünftige physiologische Erweiterungen von KIP.


(5) Agententheorien


Obgleich der epistemisch primäre Gesichtspunkt ein phänomenologischer ist, führt der intendierte Verbund mit objektorientierten und physiologischen Theorien zur Konstruktion von Strukturbeschreibungen, die sich auf individuelle Organismen bzw. individuelle Bewußtseinsstrukturen anwenden lassen sollen. Ein solcher individueller Organismus bzw. ein solches individuelles Bewußtsein wird im Folgenden ein 'Agent' genannt.

Dieser Sprachgebrauch weicht dramatisch ab von jenem, der heute im Bereich von (Software-)Agenten anzutreffen ist (siehe z.B. die Überblicke in (WOOLDRIDGE/JENNINGS 1995), (WOOLDRIDGE/JENNINGS 1996), (FISCHBACH 1996)).

An dem hier vorgeschlagenen Sprachgebrauch wird dennoch festgehalten, da davon ausgegangen wird, daß der Sprachgebrauch im Bereich der Software-Agenten sehr speziell ist; dieser Agentenbegriff deckt nur einen verschwindend kleinen Teil möglicher Agenten ab. Wenn also im folgenden von dem eingeschränkte Agentenbegriff der Softwareentwickler die Rede sein soll, dann werden wir explizit von 'Software-Agenten' sprechen, andernfalls einfach von Agenten. Ein 'Agent' wird im folgenden also entweder die intendierte theoretische Beschreibung eines kompletten menschlichen Bewußtseins oder eines vergleichbaren Organismus darstellen oder ein Computerprogramm, das auf solch einer Beschreibung basiert.