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Die durch TURING ausgelöste Diskussion, ob Maschinen nun eine Intelligenz entwickeln können, die der menschlichen vergleichbar ist, ob sie gar so etwas wie `Bewußtsein' entwickeln können, hält bis heute an und kann eigentlich nicht als definitiv entschieden gelten. Trotz aller faktischen Gewöhnung an Computer verbleibt der Fragestellung eine hohe philosophische Brisanz (DÖBEN-HENISCH 1993). Ein Schlüssel zur weiteren Klärung dieser Fragestellung scheint bei der Sprache zu liegen; dies sah auch schon TURING sehr klar. Im Rahmen der Taxierung möglicher Einsatzbereiche für eine intelligente Maschine stellt er z.B. fest: ``Das Lernen von Sprachen wäre unter den oben genannten Anwendungen die beeindruckendste, weil es die menschlichste dieser Tätigkeiten ist'' (TURING 1948: dt 1987:98).
TURING hat auch schon, wenngleich halbherzig, vorausgesehen, daß eine UTM, die ähnlich wie ein Mensch in der Lage sein soll, eine beliebige natürliche Sprache zu lernen und dann auch situationsgemäß anzuwenden, dazu auch die entsprechenden Interaktionen mit der Welt benötigt, um jenes Weltwissen erwerben zu können, das notwendig ist, um eine Sprache angemessen verwenden zu können (z.B. TURING 1948: dt 1987:98).
Doch aus der bloßen Feststellung, daß man Weltwissen benötigt, folgt noch in keiner Weise, (1) welches Wissen das genau ist, und (2) wie dieses Wissen erworben werden kann und auch nicht, (3) wie dieses Wissen intern repräsentiert werden muß, damit es mit dem Sprachsystem in Wechselwirkung treten kann.
Ohne Festlegung des theoretischen Rahmens, innerhalb dessen die obigen Fragen beantwortet werden sollen, ist die Beantwortung von (1) bis (3) beliebig, da ortlos. Dies gilt auch für Fragen, wie, (4) wie entsteht ein Sprachsystem in einem Sprecher-Hörer und (5) wie kann das Sprachsystem mit dem Weltwissen in Beziehung treten.
Im Gegensatz zu den empirischen Wissenschaften spielten die Fragen (2), (4) und (5) in der Philosophie bis heute - wenn überhaupt - nur eine marginale Rolle. Dies hatte zur Folge, daß die Fragen (1) und (3) sowie spezielle Teilaspekte von (5), wie z.B. die Frage der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke, nur als isolierte statische Aspekte eines an sich dynamischen Lerngeschehens behandelt wurden. Nur vor diesem Hintergrund kann man ansatzweise verstehen, warum es gerade auch in der Philosophie zu der Auffassung kommen konnte, daß sich die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke auch ohne Bezugnahme auf Bewußtseinstatbestände rekonstruieren läßt (Zu verweisen ist hier z.B. auf (FREGE 1892), (WITTGENSTEIN 1921), (DAVIDSON/ HARMAN 1972), (BARWISE/ PERRY 1983), um nur einige zu nennen).
Nimmt man hingegen den Standpunkt des Lernens bzw. des Lernenden - hier als `Agent' bezeichnet' - ein und akzeptiert man die Fragen (2), (4) und (5) als Leitfragen, dann wird man gezwungen, nicht nur ein Agenten-Welt-System als minimalen Rahmen anzunehmen, sondern man muß sich auch über das `Welt-Interface' des Agenten Gedanken machen, wie auch über all jene `internen Zustände' des Agenten, die notwendig sind, um die durch (2), (4) und (5) geforderten Prozesse realisieren zu können.
Turing selbst hat diese Fragen nur ansatzweise erörtert. Um die interne Funktion f eines Agenten konstruieren zu können, muß man eine Grundsatzentscheidung treffen: Sollen die Annahmen über f (a) beliebig sein oder (b) will man sich an bestimmten Vorgaben orientieren?
Eine Entscheidung für (a) würde das Projekt der Konstruktion von f dem Bereich einer allgemeinen Strukturwissenschaft wie der Mathematik zuordnen, eventuell eingeschränkt auf die berechenbaren Funktionen.
Eine Entscheidung für (b) fordert zwei weitere Entscheidungen heraus: Will man die Konstruktion von f (b.1) abhängig machen von Verhaltensdaten menschlicher Versuchspersonen oder (b.2) will man das Wissen einbeziehen, über das jeder Mensch in der Perspektive seines Selbstbewußtseins verfügt.
Eine Entscheidung für (b.1) führt zum Paradigma der Kognitionswissenschaften, die auf der Basis von Verhaltensdaten (Phonetik, Sprachpsychologie, Physiologie, ...) versuchen, Computermodelle zu erarbeiten, die in ihren Funktionen möglichst weitgehend mit diesen Verhaltensdaten übereinstimmen sollen. Das Vorgehen nach (b.1) besitzt jedoch mindestens einen gravierenden Mangel: eine Modellbildung auf der Basis von Verhaltensdaten ist, bezogen auf die formal möglichen Strukturen interner Prozesse hochgradig unterbestimmt.
Es verbleibt die Frage, was mit Variante (b.2) ist. Zunächst steht dieser Variante das heute weit verbreitete `Vor-Urteil' entgegen, daß Bewußtseinsdaten für eine ernsthafte Rekonstruktion unbrauchbar sind.
Für eine Einbeziehung von Bewußtseinsdaten sprechen jedoch ein Reihe von philosophischen Arbeiten, die zeigen, daß eine Vielzahl von Erkenntnisaspekten nur durch Bezugnahme auf das eigene Bewußtsein zugänglich sind (z.B. (MACH 1922), (HUSSERL 1913), (MERLEAU-PONTY 1945)). Eine indirekte Bestätigung der philosophischen Argumente findet sich auch in experimentellen psychologischen Arbeiten zur Wahrnehmung und zum Gedächtnis (z.B. in MURCH/ WOODWORTH 1978), (KLIX 1980), (HOFFMANN 1982), (SHIFF 1980)).
Dieser hier grob als phänomenologisch zu bezeichnende Erkenntnisansatz zeichnete sich in der Vergangenheit allerdings durch das Fehlen einer hinreichenden Sprachkritik aus, was seine Akzeptanz im Rahmen der Philosophie bis heute deutlich beeinträchtigte. Durch Einbeziehung der neuzeitlichen Sprachkritik in die Phänomenologie sowie der Entwicklungen in der modernen Wissenschaftstheorie nach 1970 ( (LUDWIG 1978), (BALZER/ MOULINES/ SNEED 1987)) läßt sich jedoch ein Erkenntnisparadigma formulieren, das es ermöglicht, auf der Basis einer phänomenologischen Analyse formale Theorien von Bewußtseinsstrukturen zu erarbeiten, die eine formale Theoriebildung erlaubt, die `nahezu alle' (DÖBEN-HENISCH 1994c) Aspekte des Bewußtseins darzustellen erlaubt und diese Darstellung kontrollierbar macht.
Der soeben unter (b.2) skizzierte Lösungsansatz ist so angelegt, daß er die Anwendung der Theorie auf sich selbst erlaubt (eine Antwort auf (NAGEL 1986)). Durch die Wahl der Mittel ist eine solche philosphische Theorie ferner `kompatibel' mit jeder empirischen Theorie, da sie jede mögliche empirische Theorie auf formaler Ebene als Teiltheorie enthält. Die Unüberbrückbarkeit zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften erweist sich aus dieser Sicht als bloß es Artefakt falsch gewählter Paradigmengrenzen.
Entscheidend ist nun, daß sich auf der Basis einer solchen formalen philosophischen Theorie des Selbstbewußtseins Simulationsmodelle definieren lassen. Eine spezielle Teilklasse von Simulationsmodellen sind solche, die sich auf den Einsatz von UTM`s beschränken.
Simulationsmodelle sind jedoch keinesfalls bloße `Abfallprodukte' einer in sich abgerundeten formalen Theorie des Bewußtseins. Aufgrund der schwindelerregenden Komplexität der Bewußtseinsprozesse muß man vielmehr annehmen, daß die Simulationsmodelle ein notwendiges Hilfsmittel sind, um überhaupt Theorien des Selbstbewußtseins mit einem gewissen Komplexitätsgrad ausarbeiten zu können. In diesem Sinne sind Simulationsmodelle Instrumente für philosophische Experimente.
Diese hier nur kurz skizzierte Vorgehensweise kann eine neue Disziplin begründen, die man, je nach Standpunkt, entweder als Computergestütze Philosophie [CGP] (Computer-Aided Philosophy [CAP] - oder besser Computational Philosophy [CP] -) bezeichnen könnte, wenn man sich mehr dem philosophischen Erkenntnisinteresse zugehörig fühlt, oder als Künstliches Bewußtsein [KB] (Artificial Consciousness [AC]), will man sie als neuer Sparte neben der bisherigen Künstlichen Intelligenz [KI] (Artificial Intelligence) im Rahmen einer allgemeinen Informatik betreiben.
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© 1995 Gerd Döben-Henisch, INM Frankfurt